Veranstaltungsbericht Pharma-Fachtagung 2025
Die Zukunft unserer Zielgruppe Ärztin und Arzt – Wie gewinnen wir ärztliches Fachpersonal neu für Marktforschung?
Die BVM-Pharma-Fachtagung am 4. November 2025 in Frankfurt widmete sich den aktuellen Herausforderungen der Pharma-Marktforschung und der Frage, wie der Zugang zu ärztlichem Fachpersonal künftig gelingen kann. Rund 40 Teilnehmende erhielten spannende Einblicke in Trends, Technologien und Erfolgsstrategien für die Arbeit mit einer zunehmend schwer erreichbaren, aber zentralen Zielgruppe. Namhafte Referentinnen und Referenten aus Instituten und insbesondere aus Unternehmen teilten ihre Erfahrungen, zeigten praxisnahe Lösungsansätze auf und diskutierten, welche Rolle Künstliche Intelligenz künftig in der Ärzteforschung spielen wird.
Die Veranstaltung stieß auf durchweg positive Resonanz. Der Bedarf an einem regelmäßigen „Come & Talk“-Format scheint in der deutschen Pharmamarktforschungsszene so groß zu sein, dass bereits über eine weitere Fachtagung im Herbst 2026 nachgedacht wird.
Zum Auftakt zeichnete Dr. Peter Müller (Medizin-Management-Verband) ein vielschichtiges Bild der ärztlichen Landschaft in Deutschland. Ärztinnen und Ärzte seien eine hochgradig heterogene Gruppe – von Einzelpraxen im ländlichen Raum bis zu großen Facharztzentren. Er zeigte auf, wie sich Generationenwandel, ökonomischer Druck und veränderte Kommunikationsgewohnheiten auf die Bereitschaft zur Teilnahme an Marktforschungsstudien auswirken. Besonders die jüngere Generation setze auf digitale Kommunikationskanäle und fordere klare, sinnstiftende Mehrwerte für ihre Mitwirkung. Müller betonte, dass erfolgreiche Rekrutierung zunehmend Empathie, Transparenz und Verständnis für unterschiedliche Lebensrealitäten erfordere.
Rhona Biswal (Interrogare) und Aida Tovar (M3 Global Research) stellten praxisnahe Strategien vor, um Ärztinnen und Ärzte auch unter erschwerten Bedingungen zu erreichen.
Biswal plädierte dafür, den Zugang zur Zielgruppe ganzheitlich zu denken: von der Vereinfachung des Screenings über mobile-optimierte Fragebögen bis hin zu standardisierten Incentives und personalisierter Ansprache. Tovar zeigte ergänzend auf, wie digitale Panels, Social Media und präzise Zielgruppenprofile die Qualität und Effizienz der Feldarbeit steigern können. Beide machten deutlich, dass Qualitätssicherung, Fairness und Pragmatismus im Rekrutierungsprozess entscheidende Erfolgsfaktoren bleiben – insbesondere bei sinkender Teilnahmebereitschaft.
Thomas Ebenfeld (concept m ai) demonstrierte eindrucksvoll, wie sich KI-gestützte „Augmented Doctors“ als Forschungsinstrument einsetzen lassen. Seine „AI-Twins“ – trainierte KI-Personas auf Basis tiefenpsychologischer Studien – können Meinungsbildungsprozesse simulieren und qualitative Forschung ergänzen.
In der Diskussion wurde deutlich, dass KI die ärztliche Forschung nicht ersetzt, sondern erweitert. Der Fokus müsse weiterhin auf dem Verständnis menschlicher Emotionen und Entscheidungsprozesse liegen. Ebenfelds Ansatz, psychologische Morphologie mit KI-Modellen zu verbinden, zeigte, wie Technologie den Erkenntnisprozess vertiefen kann, wenn sie auf realer Forschung basiert.
Mit einem Wechsel der Perspektive beleuchteten Sören Scholz (Interrogare) und Dr. Barbara Lang (Point Blank Research & Consultancy) die emotionale Dimension ärztlicher Entscheidungen.
Scholz zeigte anhand neurowissenschaftlicher Modelle, dass auch medizinische Entscheidungen stark von unbewussten Prozessen geprägt sind. Implizite Emotionen beeinflussen Diagnosen und Therapiepräferenzen – und sollten daher auch in der Marktforschung stärker berücksichtigt werden.
Lang führte dies weiter aus und illustrierte, wie qualitative Forschung mit kreativen Tools – von Archetypen bis zu KI-generierten Selbstbildnissen – positive Emotionen erzeugen kann. Eine „Win-Win-Situation“ entstehe dann, wenn Forschende nicht nur Daten erheben, sondern Erlebnisse gestalten, die den Experten und Expertinnen wie auch dem Menschen hinter der Ärztin/dem Arzt gerecht werden.
Im weiteren Verlauf der Tagung drehte sich alles um den Wert und die Weiterentwicklung von Patient-Journey-Forschung.
Barbara Hinzmann (Bayer) zeigte, dass Patient Journeys weit mehr sind als narrative Verlaufsdarstellungen – sie helfen, Versorgungslücken und Kommunikationspotenziale systematisch aufzudecken.
Claudia Uffmann (Psyma+Exevia Health) betonte die methodische Vielfalt – von ethnografischen Studien bis zu digitalen Tagebüchern – und wies auf Stolpersteine wie Datenschutz und Rekrutierungsschwierigkeiten hin.
Michael Renz (Ipsos) schließlich präsentierte mit dem „PersonaBot“ eine innovative Verbindung aus KI und Human Intelligence: synthetische Personas, die auf realen Daten basieren und qualitative Erkenntnisse virtuell zugänglich machen.
Die Diskussion zeigte: KI kann Forschung beschleunigen und skalieren – doch Authentizität und Empathie bleiben zentrale Voraussetzungen für valide Patientenerkenntnisse.
Zum Abschluss stand das Thema Wissensmanagement im Zentrum – und damit die Frage, wie Erkenntnisse künftig gesammelt, geteilt und genutzt werden können.
Christoph Petersen (Roche Pharma) berichtete über die Plattform Brain42, die seit fünf Jahren als zentraler „One-Stop-Shop“ für Insights dient und von intuitiver Suche über kuratierte Inhalte bis zu KI-gestützter Auswertung reicht.
Jeannette Kaufmann (Bayer) stellte die Einführung einer internen Wissensplattform vor, die Metadatenmanagement, Gamification und kontinuierliche technologische Weiterentwicklung kombiniert.
Dr. Johannes Schönberger (Bristol Myers Squibb) zeigte abschließend, wie KI-basierte Systeme helfen, unstrukturierte Daten zu verknüpfen, Transkriptionen zu analysieren und Anfragen in natürlicher Sprache zu beantworten.
Alle drei Vorträge machten deutlich: Wissensmanagement ist nicht mehr Archivarbeit, sondern aktive Erkenntnisarchitektur – mit KI als Beschleuniger, nicht als Ersatz menschlicher Expertise.
Die Fachtagung bot einen ebenso informativen wie inspirierenden Rahmen, um die Zukunft der Pharma-Marktforschung gemeinsam zu denken. Der offene Austausch zwischen erfahrenen Branchenprofis – viele davon seit über 25 Jahren in der Pharmaforschung tätig – schuf eine Atmosphäre, in der neue Ideen und praktische Lösungsansätze aufeinandertrafen. In persönlichen Gesprächen beim Networking und in den Diskussionsrunden zeigte sich: Die Kombination aus Mensch, Methodik und Maschine prägt die Zukunft der Insight-Gewinnung.
Der BVM bedankt sich herzlich bei allen Referentinnen und Referenten für ihre engagierten Beiträge. Besonderer Dank gilt Herrn Dr. K. Bruns (Lilly, i.R. und Mitglied im BVM-Vorstand), Frau Dr. Dulinski (IFAK), Herrn J. Rittchen (Roche) und Herrn N. Schleyer (Bayer) für die Konzeption und Moderation der Veranstaltung. Dank geht ebenso an xelper für die freundliche Unterstützung der Fachtagung.

