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Mitverfolgen qualitativer Telefon- bzw. Internetbefragungen und die Nutzung von Streamingdiensten 07.02.2017 / Verbandsnews / Prof. Dr. Raimund Wildner

Die Telefonrichtlinie in der Fassung vom Januar 2016 ist eindeutig: Ziff. 8.1 regelt: „Vertreter des Auftraggebers haben das Recht, sich durch Mithören der Interviews in den Räumlichkeiten des die wissenschaftliche Untersuchung durchführenden Forschungsinstituts oder der dabei zusammenarbeitenden Forschungsinstitute … von der Qualität der Datenerhebung zu überzeugen.“ Es folgen einige weitere Bedingungen dafür, dass das erlaubt ist, die uns hier nicht zu interessieren brauchen. Wichtig ist, dass das Mithören in den Räumlichkeiten des Instituts stattzufinden hat.

Nun sind in den letzten Jahren verschiedene Forschungsinstrumente entstanden, die über das Telefon oder auch über das Internet laufen und die es ermöglichen, längere Gespräche bzw. Diskussionsrunden auch mit räumlich weit voneinander entfernten Zielpersonen durchzuführen. Dabei wird teilweise nur der Ton, teilweise auch das Bild des Gesprächspartners bzw. der -partnerin erfasst und übertragen. Auch die Nutzer der Forschungsergebnisse sind oft räumlich weit gestreut. Die Gespräche sind nicht standardisierte Interviews, sondern eher locker durch einen Leitfaden strukturiert. Hier ist das Mitverfolgen der Gespräche durch den Auftraggeber essentieller Bestandteil des Forschungsprojekts, eben weil es auch auf den Tonfall, ggf. auch auf die Körpersprache und die Mimik ankommt. Allerdings: Ein Mitverfolgen beim durchführenden Institut würde so hohe Reisekosten verursachen, dass dies prohibitiv ist. Wie kann man sich hier gemäß den Richtlinien verhalten? Diese Frage war auch Thema bei dem diesjährigen Weinheimer Gespräch der vier Verbände ADM, ASI, BVM und DGOF.

Ein erstes Ergebnis: Die Telefonrichtlinie wurde entwickelt für quantitative, strukturierte Interviews. Das dortige Mithören ist nicht eigentlicher Bestandteil des Forschungsprozesses, sondern dient lediglich der Qualitätssicherung. Bei den neuen Forschungsinstrumenten dagegen geht es um ein Mithören bzw. ein „Mitsehen“ als Bestandteil des Forschungsprozesses. Das ist typisch für qualitative Forschung. Da die hier zur Debatte stehenden Gespräche bzw. Diskussionen insgesamt qualitativen Charakter haben, ist hier die „Richtlinie für die Aufzeichnung und Beobachtung von Gruppendiskussionen und qualitativen Einzelinterviews“ zutreffend. Diese sieht zwar nicht ein Mitverfolgen über das Internet vor, was wohl dadurch zu erklären ist, dass sie aus dem Jahre 2006 stammt, sie regelt jedoch sowohl das Zuschauen durch einen Einwegspiegel als auch die Weitergabe einer Aufzeichnung in Form eines Videobandes.

Die sinngemäße Anwendung der dort festgehaltenen Bestimmungen auch auf über das Internet durchgeführte qualitative Erhebungen ist statthaft. Das bedeutet, dass unter den sinngemäß gleichen Voraussetzungen, die für die Verfolgung z.B. einer Gruppendiskussion durch Einwegspiegel gelten, auch ein Mitverfolgen im Internet möglich ist und dass auch Aufzeichnungen an den Kunden weitergegeben werden, wenn die Voraussetzungen für die Weitergabe eines Videobandes sinngemäß eingehalten werden.
Im Einzelnen heißt das für das Mitverfolgen eines Gesprächs bzw. einer Diskussion über das Internet:

  1. Die Teilnehmer müssen informiert werden, dass die Beobachtung erfolgen kann und müssen dem zustimmen.
  2. Die beobachtenden Personen müssen sich verpflichten, dass sie die Beobachtung einstellen, wenn sie eine der teilnehmenden Personen erkennen. In der Praxis wird das so gehen können, dass ein Marktforscher der Kundenfirma die teilnehmenden Personen seiner Firma verpflichtet, z.B. auch über E-Mail, und diese die Verpflichtung auch anerkennen.
  3. Die Namen der an dem Gespräch bzw. an der Diskussion teilnehmenden Personen dürfen nicht genannt werden.
  4. Schließlich muss die Übermittlung der Audio- bzw. Video-Daten auf einem sicheren Weg erfolgen, um eine ähnliche Sicherheit wie in einem Studio zu gewährleisten.

Eine Weitergabe der Audio- bzw. Video-Daten ist auch möglich, wobei hier die gleichen strengen Maßgaben wie bei der Richtlinie zu beachten sind. Es ist dabei folgendes sicherzustellen:

  1. Die Aufzeichnungen werden nur zum Zwecke der Forschung genutzt, also z.B. nicht in Werbefilmen verwendet.
  2. Sie werden nicht an Dritte weitergegeben.
  3. Jeder Versuch einer Deanonymisierung unterbleibt.
  4. Jeder, der Zugriff auf die Datei erhält, wird auf die o.g. Punkte verpflichtet.
  5. Die Datei wird nach drei Monaten gelöscht.
  6. Damit 1-5 sicher erfüllt werden können, wird man weiter fordern, dass die Datei nicht kopierbar und durch Passwort geschützt auf einem Server liegt.

Dieses Prinzip kann übrigens ebenso für die Beobachtung von qualitativen Interviews oder Gruppendiskussionen via eines qualifizierten Streamingdienstes (wie z.B. FocusVision®) zur Anwendung gebracht werden.

Insgesamt ergeben sich durch eine solche Interpretation der Richtlinien damit praxistaugliche Lösungen, die es ermöglichen, auch die modernen Formen der qualitativen Forschung zu nutzen und gleichzeitig die Standesregeln einzuhalten, obwohl diese bei ihrer Formulierung solche Instrumente noch nicht berücksichtigen konnten.

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