Seitenanfang

Marktforschung ist weder Kundenzufriedenheitsmanagement noch Werbung 08.05.2014 / Positionen / BVM-Bundesvorstand

Die Markt- und Sozialforschung ist eine lebendige Branche. Zu Recht beschäftigen wir uns ständig mit der Frage, ob wir neue Entwicklungen verpassen oder ob sich diese als Irrweg erweisen.

Ein neuer Verband für „personenbezogene Datendienstleistungen” soll sich gründen, auf Konferenzen und im Internet wird die Marktforschung in diesen Tagen wieder einmal grundsätzlich hinterfragt. Zeit für eine Positionsbestimmung.

Muss sich die Marktforschung verändern?

Unbedingt. Ständige Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zwingen auch uns zur Anpassung. In der Vergangenheit, aktuell und in Zukunft werden wir neue Forschungsobjekte untersuchen sowie neue Methoden einsetzen und adaptieren. Dieser ständige Wandel macht unsere Branche zu einer der spannendsten überhaupt! Online-Befragungen, mobile Befragungen, Online-Access-Panel, MROCs und Co- Creation, Social-Media-Analysen stehen für Themen, die von Innovationen zum Standard-Repertoire der Marktforschung wurden.

Ist die Durchfuhrung von Marktforschung in einem Unternehmen und von nicht-anonymen Datendienstleistungen in einem anderen Unternehmen Doppelmoral?

Nein. Nicht-anonyme Datendienstleistungen sind ja – solange sie im Rahmen der bestehenden Gesetze und im rücksichtsvollen Umgang mit Konsumenten erfolgen – nichts Ehrenrühriges. Erforderlich ist allerdings eine klare Trennung der Aktivitäten. Für Befragte und die übrige Öffentlichkeit muss klar sein, dass ein Unternehmen und eine Person für Marktforschung und für Anonymisierung steht – und für nichts Anderes. Nahezu identische Unternehmensbezeichnungen sowie absolut identisches Personal lassen allerdings an einer solchen Abgrenzung zweifeln. Umso unbegreiflicher, dass gerade einige große Branchenvertreter sich ganz offenkundig bewusst nicht daran halten.

Ist Anonymität ein Bremsklotz der Branche?

Nein. Im Zeitalter von NSA und Datenskandalen sind wir Marktforscher einer der wenigen Akteure, die glaubwürdig um Vertrauen werben können. Das gelingt nur durch ein absolutes Versprechen der Anonymität gegenüber den Befragten. Ein Herumwinden oder ein „unter bestimmten Bedingungen doch” würde nur zur üblichen Haltung „auch auf die kann man sich nicht verlassen” und „was machen die mit meinen persönlichen Daten” führen. Wir möchten, dass unsere Befragten und Testpersonen vertrauensvoll und offen ihre Eindrücke, Meinungen, Emotionen und Verhaltensweisen mit uns teilen. Dieses Wissen gehört in erster Linie den Befragten und nicht uns – entsprechend sorgsam ist damit umzugehen. Warum „Big Data” nur nicht-anonym geht, ist auch nicht plausibel. Diese Meinung mag den Geschäftsmodellen einzelner Marktteilnehmer geschuldet sein, aber dem muss man sich ja nicht anschließen.

Hat die Kundenzufriedenheitsforschung als Marktforschung eine Zukunft?

Eindeutig ja. Zunächst: Forschung ist immer auf Erkenntnisgewinn gerichtet. Anonymisierte Kundenzufriedenheitsbefragungen sind immer Forschung. Nur anonymisierte Forschung ist in der Lage, so hohe Responseraten zu erzielen, dass auf die Kunden insgesamt geschlossen werden kann. Befragungen, die jedoch dazu dienen, Kundendaten anzureichern und diese dann entsprechend mit Marketingmaßnahmen zu flankieren, dienen nicht primär dem Erkenntnisgewinn, sind also keine Forschung, sondern Teil des Kundenzufriedenheitsmanagements. Ein vollständiges, valides Abbild von Kundenstruktur und Kundenzufriedenheit kann dagegen nur mit repräsentativen Erhebungen erreicht werden.

Kreative Ideen zur zukünftigen Marktbearbeitung gewinnt man ebenfalls nicht mit einfachen Kundenfeedbacks. Auch dazu werden intelligente Modellierungen und passgenaue qualitative Marktforschungsansätze benötigt, ohne dass man dafür die Anonymität der Befragten aufheben müsste. Das ist keineswegs ein Plädoyer gegen Kundenzufriedenheitsmanagement – das auch von der Kundenzufriedenheitsforschung profitiert. Nur sollte man keine Begriffsverwirrung betreiben. Kundenzufriedenheitsmanagement als Verfügbarmachen von Kundenfeedback in einer Unternehmensorganisation ist ein rein technisches Produkt, das wenig bis nichts mit Marktforschung zu tun hat. Bestrebungen, diesen Sachverhalt mittels neuer Begrifflichkeiten wie „transaktionsbasierte Kundenzufriedenheitsforschung” oder „personenbezogenes Marketing” zu verschleiern, bedrohen die Glaubwürdigkeit und das in die Marktforschung gesetzte Vertrauen. Sie würden der gesamten Branche schaden.

Brauchen wir einen Verband für „nicht-anonyme Datendienstleistungen”?

„Wir” brauchen das natürlich nicht – es steht aber selbstverständlich jedermann frei, einen beliebigen Verband zur Vertretung der eigenen Interessen zu gründen. Umgekehrt gibt es aber auch gar keinen Anlass einer wie auch immer gearteten impliziten oder expliziten Zusammenarbeit von Seiten der Marktforschung. Weder darf es eine explizite oder implizite Zusammenarbeit bei der Erarbeitung von Trennungskriterien noch den Anschein einer Arbeitsteilung geben – quasi eine Art „Marktforschung light”, nur eben ohne Anonymität. Wir werden daher darauf achten, dass sich Verbände außerhalb der Markt- und Sozialforschung für ihre Selbstdefinition nicht aus dem Instrumentarium der Selbstregulierung unserer Branche bedienen, um eine Verwechslungsgefahr zu verhindern.

Die Zukunft der Marktforschung

Das Verstehen von Fühlen, Denken und Handeln von Konsumenten und die Ableitung konkreter, handfester Maßnahmenvorschläge werden immer einen – profitablen – Platz in unserer Wirtschaft haben. Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft erlauben ständig neue Forschungsthemen und Forschungsmethoden. Eine klare Abgrenzung zu forschungsfremden Tätigkeiten beseitigt Begriffsverwirrungen und stärkt das Vertrauen von Wirtschaft und Gesellschaft in die Marktforschung. Daher arbeiten wir zusammen mit den anderen Branchenverbänden aktuell an einem klaren Kriterienkatalog, der die konstituierenden Merkmale der Marktforschung verdeutlicht sowie Merkmale der Trennung zu forschungsfremden Tätigkeiten auflistet.

Diese Zukunft – ständige Innovation auf sauberer ethischer und methodischer Basis – findet im BVM statt. Machen Sie mit!

Zurück