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DIY – Feindliche Übernahme oder perfekte Ergänzung Veranstaltungsbericht zum virtuellen (Über-)Regionalabend aus Berlin am 03.12.2020

DIY – Feindliche Übernahme oder perfekte Ergänzung – Diskussions-Ring

DIY ist DER „Game-Changer“ in der Marktforschung. Mit großem Interesse verfolgten daher mehr als 150 Teilnehmer eine spannende Diskussionsrunde mit den DIY-Experten Dr. Peter Aschmoneit (quantilope), Frank Lüttschwager (EARSandEYES, kvest), Inga Havemann (Ipsos), Katja Kollmenter und Friedrich Everding (Kantar). Im „Diskussions-Ring“ argumentierten so einerseits DIY Pure Player und andererseits etablierte Marktforschungsinstitute als hybride Anbieter von „klassischer“ Marktforschung und eigenen DIY-Plattformen. Dr. Susanne Wehde (tesa) vertrat mit ihrer Expertise und Bedarfsvorstellung die Seite der Betriebsmarktforscher und damit die Nutzerperspektive. „DIY“ wurde vorab eingegrenzt auf ganzheitliche End-to-End-Lösungen der quantitativen Adhoc-Forschung.

Geschwindigkeit ist Trumpf: Von der Postkutsche zum Assistenzsystem-PKW

Dr. Peter Aschmoneit eröffnete die Diskussion provokativ mit einem Augenzwinkern, als er die klassische Marktforschung mit einer Postkutsche verglich – bequem geführt, jedoch immer noch zu langsam. DIY hingegen funktioniere eher wie ein moderner PKW mit Assistenz-System. Und Stück für Stück bewege man sich mit DIY zum autonomen Fahren. 

Katja Kollmenter betonte hingegen, dass Geschwindigkeit nur eine von mehreren Anforderungen sei. Ein Mindestmaß an Zeit werde benötigt, um die zum Ziel passendste Methode bzw. Herangehensweise auszuwählen.

Standardisierung dürfe nicht zu Lasten von Qualität gehen, so auch Inga Havemann. DIY ermögliche jedoch durchaus mehr Selbstbestimmtheit, denn der Start eines Projektes bis hin zur Last-Minute-Änderung sei so jederzeit möglich, unabhängig von der Kapazität und Arbeitszeit des Institutes.

Frank Lüttschwager sah das Bild eines Taxis treffender, um die Arbeitsweise der klassischen Forschung zu beschreiben. Dieses sei durchaus ähnlich schnell im Feld, jedoch umständlicher bei der Beauftragung. Im Gegenzug sei DIY eben nur für bestimmte einfachere Fragestellungen einsetzbar.

Dr. Susanne Wehde appellierte: Der Geschwindigkeitsvorteil sei da, aber die Speed-Fokussierung tue nicht immer gut. Bereits heute sei Dr. Wehde häufig schneller als ihre Ansprechpartner im Marketing. DIY spiele eine wichtige Rolle, um den Gesamtprozess des Hypothesentestens zu optimieren und schaffe Effizienz und Ressourceneinsparungen. Aber man müsse wissen, wann man DIY einsetzt und die zur Fragestellung passenden Tools auswählen.

Das Publikum bestätigte zum Abschluss dieser Runde in einer eingespielten Umfrage, dass Geschwindigkeit für DIY spreche – mit 77 Prozent der Angaben.

Qualität bleibt auf dem kritischen Radar – trotz unterschiedlicher Initiativen

Katja Kollmenter griff hier das Bild vom Plätzchenbacken auf: Manchmal genüge eine bewährte Lösung wie eine Backmischung bzw. DIY. Ein anderes Mal sei der Anlass so wichtig, dass Handarbeit notwendig sei, eine hohe Qualität benötigt werde bzw. sehr genau gearbeitet werden müsse.

Qualität beinhalte zwei Seiten, betonte Inga Havemann: den Anbieter und den Nutzer. Der Anbieter müsse eine hohe Samplequalität, relevante KPI und ein valides und internationales Benchmarking zur Verfügung stellen. Außerdem solle eine zunehmende Bandbreite von Methoden geboten werden wie auch neurowissenschaftliche und Textanalyse-Ansätze, damit die Passung zwischen Fragestellung und methodischem Ansatz gegeben sei. Anwenderseitig könne die Qualität der Fragenformulierung auch durch den Support sowie durch eine Fragebogenlibrary erhöht werden.

Für Frank Lüttschwager gilt gar: Qualität ist unabhängig von DIY. Die Kriterien dafür seien die gleichen und müssten weiterhin Gültigkeit besitzen. Am Bild eines Pfefferkuchenhauses verdeutlichte er die Relevanz von Guidance: Mittels Vorlagen und Anleitungen könne Qualität gewährleistet werden. Qualität zeige sich zudem in einer repräsentativen Stichprobe, einer guten Fragebogenformulierung und identischen Qualitätskriterien bezüglich der Panel- und Cleaningqualität.

Dr. Peter Aschmoneit spitzte sein Statement zu: Qualität bedeute die richtige Fragestellung zum richtigen Ansatz, ein repräsentatives Sample mit dem richtigen Provider, eine fehlerfreie Datenübertragung und das so schnell wie möglich. Seine Vision ist es, alles auf einer Plattform anzubieten. Dies beinhalte auch das Datenmanagement inklusive Hilfestellungen z. B. das automatisierte Cleaning bzw. Datengewichtung sowie Qualitätskontrollen. Auch die ausreichende Feldzeit sei damit eingeschlossen. Auf Nutzerseite sollten ein Servicelevel geboten und Schulungen ermöglicht werden, um den Erfolg zu sichern.

Laut Dr. Susanne Wehde wirke DIY so leicht, als könne es jeder Praktikant. Aber tatsächlich erhöhen sich die Anforderungen an die Kompetenz des Users bei der Methodenumsetzung sowie der Interpretationskompetenz bzw. Beratungskompetenz auf Seiten des Anwenders von DIY. Wichtig sei es, sich beim Planen bzw. Interpretieren der Daten Zeit zu nehmen. Schnelligkeit in diesen Phasen tue der Qualität nicht gut.

Während sich die Anbieter mit verschiedenen Maßnahmen um die Sicherstellung von Qualität bemühen, sah das Publikum in punkto Qualität Vorteile für die klassische Marktforschung – mit 70% der Angaben.

DIY als perfekte Ergänzung im Werkzeugkasten des agilen Marktforschers

Frank Lüttschwager betonte, dass die Entscheidung für bzw. gegen DIY auch eine Frage der Ressourcen des Auftraggebers sei. Steht Zeit zur Verfügung? Kann die Komplexität selbst bewältigt werden? Häufig wollen sich Kunden absichern. Dann werden von kvest neben Qualitätskontrollen und Assistenzsystemen bei ersten Projekten auch Beratungsangebote wie die enge Begleitung angeboten. Prinzipiell gelte: Ist die Fragestellung standardisiert bearbeitbar, dann DIY. Ist die Aufgabe komplexer, spräche das eher für die klassische Marktforschung.

Laut Dr. Peter Aschmoneit ist die Managementkultur kundenseitig häufiger Insight-getrieben, und es müsse häufiger agil gearbeitet werden. Für betriebliche Marktforscher sah er Chancen, durch DIY und schlanke Prozesse im Spiel zu bleiben, auf einer Plattform zusammenarbeiten zu können (DIT – do it together) und für den Marktforscher-Nachwuchs mit seiner Technologieaffinität attraktiver zu werden. Das größte „Risiko“ von DIY sei daher: Marktforschung mache Spaß!

Friedrich Everding argumentierte, dass letztlich die Auftraggeber die Einsatzgebiete definierten, die zunehmend in agilen Prozessen arbeiteten. Hier müssten Institute mitgehen. Zu spät gelieferte Ergebnisse seien wertlos. DIY helfe die Kosten pro getesteter Idee zu reduzieren. Das Berufsbild des Marktforschers werde sich wandeln.

Nach Inga Havemann sei DIY kein Allheilmittel. Der Kontext beim Auftraggeber entscheide, wo und wie der Einsatz Sinn mache, zum Beispiel um agile Prozesse schnell vorwärtszubringen. DIY helfe durch seine Simplifizierung, im Vorfeld von Studien wichtige Fragen zu beantworten.

Dr. Susanne Wehde wollte die Kirche im Dorf lassen: DIY sei immer Online-Marktforschung und dadurch nur begrenzt einsetzbar. Limitationen würden sichtbar, wenn Hypothesen generiert werden müssten, Number Crunching und Mustererkennung erfolgen solle oder schlicht bei physischen Tests. Auch die endliche Kapazität der betrieblichen Marktforscher sei ein wichtiger Aspekt. Positiv sah sie, dass heute mehr Hypothesen getestet würden, wo früher Bauchentscheidungen gefällt worden seien, z.B. einen Namenstest vor Verpackungstest.

Das Publikum überzeugten die Argumente dahingehend, dass eine überwiegende Mehrheit DIY eher als perfekte Ergänzung denn als alternatives Konkurrenzangebot betrachtete – mit 81 Prozent der Angaben.

In der Abschlussrunde wurde deutlich: DIY ist Teil eines technologischen Fortschrittes, der mit seiner Schnelligkeit, Zeit für weitere Wertschöpfungsschritte lasse und die schnelle Information in Zeiten von agilen Arbeitsprozessen sicherstelle. Marktforschung müsse technologiegetriebener werden, um zu „überleben“. DIY ergänzt dabei symbiotisch die Werkzeugbox des Marktforschers. Der Mensch mit seiner Expertise bleibe weiter unverzichtbar als Berater.

Sindy Krambeer
Matthias Wenzel

Regionalleitung Berlin-Brandenburg