Brand Purpose – Buzzword oder zukunftsweisend? Bericht über die gemeinsame Veranstaltung der BVM-Regionalgruppe Rhein-Main und des Marketing Clubs Frankfurt am 15.09.2020
Wo immer man sich in der aktuellen Marketing-Diskussion umblickt – der „Purpose“ ist schon überall angekommen und wird intensiv diskutiert. Welche Rolle kann Purpose, können Werte für ein Unternehmen spielen? Wie werden sie umgesetzt? Wie können sie gemessen werden? Grund genug auch für die Regionalgruppe Rhein-Main gemeinsam mit dem Marketing Club Frankfurt die Frage zu stellen „No Purpose, no Brand: Wie erfolgreich ist eine werteorientierte Markenführung?“.
Denn wenn „Purpose“ ein strategisches Element der Unternehmens- und Markenführung ist, stehen Marketing und Marktforschung gemeinsam in der Verantwortung, den Begriff zu operationalisieren, messbar zu machen und die Unternehmensführung zu beraten.
So diskutierten am 15. September mit Ines Imdahl, Rheingold Salon, Joyshree Reinelt, innate motion, Götz Ehrhardt, Accenture, und Sven Schondelmaier, Wayahead, eine Runde aus Marktforscher/innen, Marketeers und Berater/innen, wie dieser Begriff einzuordnen ist und was dies für Unternehmen, Marken und Menschen bedeutet. Organisiert wurde der gemeinsame Abend von den Regionalgruppenleitern Susanne Stahl und Christian Holst sowie Gunnar Bergemann und Julia Dahlhaus vom Marketing Club Frankfurt. Eine besondere Note bekam der Abend dadurch, dass sowohl eine sehr begrenzte Anzahl von rund 30 Teilnehmer/innen vor Ort wie auch rund 130 live über den Webinar-Stream beteiligt waren.
Götz Erhardt, Accenture, spannte den Rahmen des etwas „überstrapazieren“ Begriffs „Purpose“ zwischen zwei Polen auf: Auf der einen Seite als „Shareholder Capitalism“, also dem Geschäftszweck als reine Profitorientierung – eine Position, wie sie fast auf den Tag vor 50 Jahren der Ökonom Milton Friedmann in einem einflussreichen Aufsatz vertrat -, und auf der anderen Seite dem „Stakeholder Capitalism“, also einer an Gesellschaft und Nachhaltigkeit orientierten Position, wie sie in den letzten Jahren auf dem World Economic Forum in Davos diskutiert wurde. Angesichts des Paradigmenwechsels in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft müssen sich Unternehmen deshalb nach ihrem Unternehmenszweck fragen lassen – dem „Purpose“. Am Beispiel von Unternehmen wie Uniper – der ehemaligen E.ON-Sparte, die jetzt die „alten“ Energieträger Kohle, Gas und Wasser trägt –, und Interboden zeigte Ehrhardt, wie diese über die Definition von Werten eine Position beziehen, die über die reine Profitmaximierung hinausgeht.
Joyshree Reinelt, innate motion, setzte „Purpose“ mit „Sinn“ gleich. Kern ist für sie die wirtschaftliche Orientierung am Gemeinwohl, wie sie in der „Triple Bottom Line“ von „People“, „Planet“, „Profit“ messbar wird. Am Beispiel von Unilever berichtete sie, wie sich ein solches Unternehmen strategisch auf den Weg macht, für sich und seine Marken einen Purpose zu bestimmen, und welchen Erfolg diese Marken haben. So wurden seit 2010 28 Marken mit einem expliziten Purpose positioniert, die seitdem 69 Prozent schneller wachsen als die restlichen Marken und rund 75 Prozent des Unternehmenswachstums beitragen.
Sven Schondelmaier, Whyahead, griff in seinem Statement den Aspekt der Transformation auf. Purpose sei zunächst erst einmal als eine Ressource zu verstehen, über die jedes Unternehmen mehr oder weniger verfüge. Erst wenn sich das Unternehmen über den eigenen Purpose sowie den seiner Marken klar geworden sei und diese Haltung zum Maßstab eigenen Verhaltens gemacht habe, könne es den Purpose nach Außen kommunizieren. Purpose ist somit in erster Linie eine Managementaufgabe – so wie das Purpose-Projekt bei Unilever vom damaligen CEO Paul Polman getrieben wurde.
Wie sehr bei Konsumenten Haltung und Verhalten auseinanderklaffen, machte Ines Imdahl,Rheingold Salon, in ihrem Statement gleich zu Beginn klar: So sagten 71 Prozent der Discount-Käufer von Fleischwaren, dass sie gegen Massentierhaltung seien. Die Frage sei also, warum heute die Frage nach „Sinn“ oder „Purpose“ (synonym gebraucht) so aktuell sei. Dies hinge, so ihre Beobachtung, unter anderem mit dem Rückzug der Marken während der Corona-Krise zusammen. Marken seien in der Lage, Sinn zu stiften, indem sie Lösungen für innere Konflikte der Konsumenten anbieten. Wo sich die Marken kommunikativ zurückziehen, entstehe damit der Eindruck, dass die Krise wirklich existenziell sei, und damit stelle sich auch die Frage nach dem „Sinn“ wieder. Gleichzeitig wird aber damit auch deutlich, was Purpose eben nicht sei: nämlich das Berufen auf „Nachhaltigkeit“ oder die 17 Ziele der UN-Nachhaltigkeitsagenda. Stattdessen würde im Purpose die Existenzberechtigung des Unternehmens oder der Marke ausgedrückt, und insofern wäre eben auch die Profitabilität eines Unternehmens ein Aspekt des „Purpose“.
In der anschließenden Diskussion wurde dann nochmal die Ambivalenz des Begriffs thematisiert. Man war sich zwar einig, dass der Purpose in der Funktion als „Sinn“ mit dem Unternehmen und der Marke mittlerweile eng verknüpft ist. Aber auf der einen Seite ist der Anspruch an den Begriff doch zu groß, wenn damit die Erwartung verbunden wird, dass Marken „den Weg in eine bessere Gesellschaft weisen [sollen]“, auf der anderen Seite ist der Begriff zu klein, wenn es darum geht, den Paradigmenwechsel in Wirtschaft und Gesellschaft zu erfassen. Schließlich wurde aus dem Publikum die Frage aufgeworfen, wie sich denn die Dienstleister verhalten sollten: Sollten sie vor jedem Auftrag hinterfragen, ob das ausschreibende Unternehmen „purposeful“ handelt, oder solle man lediglich auf den Umsatz schauen? Tatsächlich wirft dies auf das Problem ethischen Handelns in der Wirtschaft zurück, bei dem es keine allgemeinen Rezepte gäbe. Joyshree Reinelt wies aber darauf hin, dass es auch für Dienstleister wie ihr Unternehmen mittlerweile vorteilhaft sei, z.B. als „B-Corporation“ zertifiziert zu sein und damit auch nachweisen zu können, dass sie hohen Ansprüchen an sozialem und umweltverträglichem Handeln, Transparenz und der Balance von Profit und Purpose gerecht würden.
Insgesamt zeigte der Abend zum nunmehr schon sechsten Mal, wie wichtig und wie ergiebig die Diskussion zwischen Marketing und Marktforschung ist, denn beide blicken auf die gleichen Themen aus je unterschiedlichen Perspektiven.
Dr. Christian Holst
Regionalleitung Rhein-Main