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Qualität hat ihren Preis 23.01.2013 / Positionen / Joerg Ermert, Leiter Grundlagenforschung Telekom Deutschland GmbH

Die Diskussionen über den Qualitätsgehalt in der deutschen Marktforschung werden immer häufiger und immer heftiger und sie werden zum Teil von einigen Protagonisten auch sehr emotional geführt.

Von den betrieblichen Marktforschern, die sich fragen, wo das alles noch hinführen soll (inhaltlich wie preislich) und von den Institutsmarktforschern, die ihre eigene Existenz auf dem Spiel stehen sehen, weil sie mit den Dumping-Preisen der Konkurrenz nicht mithalten können und auch nicht wollen.
Die Situation des betrieblichen Marktforschers ist auch nicht neu, er bekommt Druck von allen Seiten: der Chef hat Ansprüche, die internen Kunden haben auch die ihren, aber wiederum andere, der Einkauf sitzt den betrieblichen im Nacken und von außen bieten sich (teilweise obskure) Berater und externe Anbieter an, gleiche Aufgaben zu gleicher Qualität zum halben Preis und in der halben Zeit zu erledigen.

Der Preisverfall für Marktforschungs-Dienstleistungen in den letzten Jahren ist unverkennbar und nimmt immer mehr zu. Unter Druck geraten die Preise durch eine Vielzahl an Online-Panels und Telefonstudios. Noch günstiger werden Onlinebefragungen durch mittlerweile auftauchende Adress-datenbanken: So bietet XING eine Befragung seiner Mitglieder an (gegen Geld). Konsequent fortgedacht könnten auch Fußballvereine ihre Mitgliederadressen der Umfrageforschung zur Verfügung stellen. So hat der 1. FC Köln derzeit rund 50.000 Mitglieder. Ungeachtet der sportlichen Leistungen des Vereins, die ja nichts mit den Mitgliedern zu tun haben müssen, ist das doch ein sattes Pfund. Halt! Da war doch was? Richtig: Qualität.

Aber wie beurteilt man die Qualität …

  • der Feldarbeit ?
  • der Projektleitung ?
  • der Moderation ?
  • der Datenaufbereitung ?
  • des Präsentators ?
  • des Gesamtpreises ?

Bei der Beurteilung der Qualität der Feldarbeit, der Basis für alles Weitere, hilft nur, sich einen eigenen persönlichen Eindruck vor Ort zu verschaffen, mehrfach und auch mal unangemeldet, auch wenn die Institute da gerne mauern.

Bei der Beurteilung der Projektleitung, der Moderation, der Datenaufbereitung oder des Präsentators sollten die Betrieblichen das eigene Netzwerk für Informationen und Vergleiche nutzen und falls da keine verwertbaren Infos zu bekommen sind, sollten sie ruhig einmal die Referenzadressen abtelefonieren und dabei die Kernfragen stellen. Wieso wird dieses Instrument so wenig genutzt? Mein Name steht nach über 30 Jahren in dieser Branche bei vielen Instituten auf deren Referenzliste, aber angerufen und mich danach gefragt, ob das auch seine Berechtigung hat oder wie denn nun die Qualität der abgelieferten Studien so war, hat mich in den letzten 20 Jahren vielleicht ein halbes Dutzend Kollegen.

Betrachtet man die Angebotspreise der Institute, so kann man sich leicht ausrechnen, dass es nach unten eine natürliche Preisgrenze geben muss. Die Interviewer wollen bezahlt werden, deren Schulung (unbedingt nötig) auch, die Miete muss bezahlt werden, die teuren Anlagen müssen bezahlt werden ebenso wie Supervisoren, Projektmitarbeiter und Leiter.

Kann man sich vorstellen, dass eine bevölkerungsrepräsentative telefonische Umfrage von 12 Minuten Länge für einen Fallpreis von 5 Euro zu realisieren ist? Solche Preise gibt es. Und diese auch:

  • CATI-Studie mit 400 Entscheidern aus Unternehmen mit ca. 10 Minuten Dauer: Fallpreis 7,50 Euro!
  • 250.000 8-Minüter CATI mit gelieferten Adressen: Fallpreis 3,76 Euro!
  • Ausschreibung Mystery Shopping an fünf Institute. Angebotspreise von 495.000,- € bis 990.000,- Euro bei vollständig identischem Briefing!

Es ist wie beim Steak im Sonderangebot für 1,99: Nachdem man es blass-rosa in die Pfanne warf, zischt und brutzelt es, Wasser tritt aus, übrig bleibt ein grau-braunes Elend.

Extrem günstige Institute argumentieren mit der Mischkalkulation: Hinter vorgehaltener Hand sagen sie, dass sie unbedingt einen Kunden haben möchten und dort Projekte zum Selbstkostenpreis anbieten. Nun wissen wir aber andererseits, wenn Preisschwellen einmal nach unten durchbrochen wurden, lassen sie sich nie wieder anheben. Tatsächlich können Institute beim nächsten Projekt nur schwer argumentieren, warum sie plötzlich doppelt so teuer sind wie beim Vorgängerprojekt.
Diese Entwicklung zu absoluten Dumpingpreisen bereitet Sorge: Auf der anderen Seite hört man, dass Softwareanbieter Datensimulationsprogramme anbieten, die auf Grundlage weniger Interviews eine große Stichprobe simulieren können. Doppelungen sind dann später nicht mehr erkennbar, weil die Programme Schwankungen einrechnen.

Damit will ich nicht behaupten, dass extrem günstige Institute ihre Interviews fälschen. Andererseits denkt man doch darüber nach, wie das alles zusammen passt. Spätestens abends an der Hotelbar werden immer wieder Gerüchte kolportiert, dass das eine oder andere Institut es mit richtigen Interviews nicht so genau nimmt. Ob diese Gerüchte nun von neidischen Wettbewerbern gestreut werden oder ob ein Körnchen Wahrheit dran ist?

Beim Auftraggeber wirken offensichtlich die Kräfte des Marktes in Kombination mit dem Druck aus dem eigenen Haus: Hauptsächlich schneller und billiger (Online/CATI). Auf die Qualität wird dann nicht mehr so geachtet (DIYS!).

Auf Institutsseite wirkt der Konkurrenzdruck. Wenn der Markt keine realistischen Preise mehr hergibt, wird an der Qualität gespart oder gar gedumpt: Zwangsläufig leidet dann die Qualität.
Hier sind die betrieblichen Marktforscher gefordert, ihre Auftragsvergabe nicht nur nach dem Preis, sondern auch nach gesundem Menschenverstand zu gestalten und die erwartete und gebotene Qualität mit einzubeziehen.

Wenn der Fallpreis sogar niedriger ist als die voraussichtliche Interviewerbezahlung, kann man nicht mehr von einer ordnungsgemäßen Erfüllung des Auftrages ausgehen. Und Qualitätskriterien gibt es nun wirklich genug, wir betrieblichen Marktforscher müssten uns nur die Mühe machen, sie auch konsequent anzuwenden. Der sicherlich sehr viel schwierigere Schritt ist es dann, den Chef, die internen Kunden und den Einkauf davon zu überzeugen, dass die etwas teurere Qualität schon mittelfristig und auf Dauer sicher besser für das Unternehmen ist als billiger Murks. Was natürlich im Umkehrschluss nicht heißen soll, dass hochpreisige Angebote auch wirklich gute Qualität versprechen, das versteht sich von selbst. Auch hier gilt die alte Regel: je transparenter die Kostenstruktur, desto leichter hat es der Betriebliche, aussagefähige Vergleiche anzustellen.

Denn auch die Marktforschung kann nicht zaubern.
Gute, qualitativ hochwertige Marktforschung braucht...

  • qualifiziertes Personal
  • ausreichend Zeit
  • und gutes Geld!
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