Refugees Welcome - Marktforscher in der Pflicht 01.09.2015 / Positionen / Michael Schaaf, Associate Director bei at random international
Es ist gut und richtig, wenn sich viele Menschen in ihrer Nachbarschaft für Flüchtlinge engagieren. Aber um nachhaltige Veränderungen zu erreichen, ist es mindestens genau so wichtig, dass wir uns mit unserer professionellen Kompetenz einbringen. Gerade, wenn es darum geht, der Verbreitung rechter Hetze mit wirksamen Strategien entgegenzutreten, sind wir als Marktforscher gefragt.
Die große Anzahl von Menschen, die getrieben von Krieg und Not aus ihrer Heimat fliehen und aktuell in Deutschland bzw. Europa Schutz und Perspektive suchen, führt hinsichtlich der gesellschaftlich verbreiteten Auffassungen zu einer erheblichen Polarisierung. Auf der einen Seite wird in weiten Teilen der Bevölkerung der Wille deutlich (siehe z.B. Forsa für stern), diese Menschen so gut es geht Willkommen zu heißen, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und auch politisch für eine Verbesserung ihrer Lage einzutreten: Refugees Welcome!
Auf der anderen Seite sind wir schockiert von der Aufwallung rechter Hetze (siehe z.B. YouGov). Nicht zuletzt in den sozialen Medien werden Hass und Fremdenfeindlichkeit verbreitet. Mancherorts brennen schon wieder Häuser, fliegen schon wieder Molotowcocktails auch gegen Menschen, werden Flüchtlinge oder Menschen, die für solche gehalten werden, bepöbelt und tätlich angegriffen. Der Blogger Sascha Lobo schreibt dazu: “Es bildet sich eine dezentrale Naziterrorbewegung, eine Art NSU 2.0. Der Umgang damit wird zum Defining Moment unserer Generation.”, hier muss sich jeder und jede entscheiden.
Es ist gut und richtig, wenn sich viele Menschen in ihrer Nachbarschaft für Flüchtlinge engagieren, zumal akute Nothilfe in dieser Krise wohl tatsächlich am schnellsten durch unbürokratische Initiativen vor Ort geleistet werden kann. Aber um nachhaltige Veränderungen zu erreichen, ist es mindestens genau so wichtig, dass wir uns dort einbringen, wo wir wirklich wissen, was wir tun. Und das ist für die meisten von uns die Arbeit, der Job, mit dem wir uns den größten Teil der Woche beschäftigen. Gerade, wenn es darum geht, der Verbreitung rechter Hetze mit wirksamen Strategien entgegenzutreten, sind wir als Marktforscher gefragt, nicht einfach als neutrale Chronisten der vorfindlichen Auffassungen, sondern als Menschen, die ihrem Forschungsgegenstand interessengeleitet gegenübertreten, danach fragen, wie sich Auffassungen, Emotionen und Verhaltensweisen verstehen und beeinflussen lassen: Welche Kanäle nutzen Rechtsextreme, um ihre Auffassungen zu verbreiten, wann und wie sind sie dabei erfolgreich und welche Gegenstrategien sind möglich und erfolgversprechend? Welche Vorurteile und Fehlinformationen sind in der Bevölkerung verbreitet und für welche Irreführungen sind Menschen dadurch unter Umständen anfällig? Welche Informationen fehlen möglicherweise, um fremdenfeindlichen Auffassungen besser entgegentreten zu können? Was macht es gegebenenfalls auch für Menschen, die sonst keine geschlossene rechte Auffassung vertreten, attraktiv, Hetzparolen zu reproduzieren? Welche realen Probleme werden dadurch möglicherweise verdrängt, usw.
Umgekehrt ist es sicherlich auch wert, die Auffassungen und Motive derjenigen, die Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossener sind, zu verstehen: Was motiviert aktuell so viele Menschen, sich in Initiativen zur Flüchtlingshilfe zu engagieren? Welche Informationen fehlen, um wirksamer helfen zu können? Welche “Best Practices” lassen sich identifizieren und wie können verschiedenen Initiativen voneinander lernen? Welche politischen Veränderungen werden von diesen Menschen befürwortet, welche regionalen Unterschiede gibt es dabei, was wird eigentlich wo gebraucht, usw. Hier sind wir Marktforscher in der Pflicht, nicht nur dann, wenn andere uns beauftragen.